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Nachtruhe & Nervenschmerz – ein nächtlicher Rundgang durchs Hochhaus Gehirn

Stellen Sie sich wieder unser vernetztes Hochhaus vor. Tagsüber wuseln Menschen, Sirenen heulen, E-Mails rauschen durch Leitungen. Aber jedes hochkomlexes Gebäude braucht eine Nachtschicht: Putzkolonnen, Handwerker, IT-Back-ups. Genau das ist Schlaf. Fällt die Nachtschicht aus, bleibt der Müll liegen, Kabel überhitzen – und am Morgen meldet sich der Schmerz.

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Was macht die Nachtschicht eigentlich?

Wir lassen die Scheinwerfer aus, aber die Kamera läuft weiter.

  • Leichtschlaf (N1, N2): Die Security kontrolliert Schlösser, senkt Puls und Temperatur.

  • Tiefschlaf (N3, Slow-Wave): Hochdruckreiniger spülen den Fußboden – neurobiologisch das glymphatische System, in dem Liquor wie Putzwasser Stoffwechselabfälle (β-Amyloid, Lactat) abträgt. Gleichzeitig sorgt das Synaptic Homeostasis Model dafür, dass überreizte Synapsen wieder auf Werkseinstellung gehen.

  • REM: Das Kreativteam rückt ein, sortiert Erinnerungen, testet Fluchtwege. Noradrenalin ist fast null – ideal, damit keine echten Feueralarme ausgelöst werden.

 

Ergebnis am Morgen: Sensoren sind kalibriert, Leitungen frei, Software upgedatet.

Was passiert, wenn die Nachtschicht ausfällt?

Einmal Schlafentzug reicht, um die Schmerzschwelle um bis zu 30 % zu senken – das zeigen Hitzereiz-Tests im Labor. Chronisch wird’s richtig brenzlig:

  • Proinflammatorische Zytokine (IL-6, TNF-α) steigen. Sie wirken wie Rost in Schaltschränken und fördern zentrale Sensitivierung.

  • Das periaquäduktale Grau (PAG) drosselt seine Schmerzhemmung; quasi die Brandschutzanlage, der der Saft ausgeht.

  • Mikroglia werden zur Nachtwache ohne Aufsicht: Sie feuern Glutamat und freie Radikale.

  • Im präfrontalen Kortex sinkt Glukosestoffwechsel – der Geschäftsführer nickt ein, Entscheidungsstau inklusive.

 

Klinisch spürbar als Hyperalgesie (verstärkte Schmerzantwort) und Allodynie (Schmerz bei Berührung, die sonst neutral wäre).

Wenn Schmerz den Schlaf klaut

Leider ist es keine Einbahnstraße. Nozizeptive Signale feuern nachts weiter, reißen Sie aus dem Tiefschlaf, verhindern REM. Jede Unterbrechung bedeutet: Die Putzkolonne muss neu anrücken, fängt aber immer wieder von vorn an. Chronischer Schmerz verkürzt N3 um bis zu 50 %, REM um 20 %. Am Morgen hat das Gebäude noch halbfertige Baustellen – perfekter Nährboden für mehr Schmerz.

Der Teufelskreis

Schmerz → weniger Schlaf → mehr Zytokine, weniger Hemmbahnen → niedrigere Schmerzschwelle → mehr Schmerz → … Loop läuft.

Neuroplastisch ausgedrückt: Häufig genutzte Leitungen (Schmerzbahnen) werden nachts nicht heruntergeregelt, neue Hemmwege werden nicht aufgebaut. Das Netzwerk verlernt Stille.

Schlaf als Therapiehebel

Wie holen wir die Nachtschicht zurück?

  1. Circadiane Beleuchtung: Zwei Stunden vor Bett gedimmtes, warmes Licht → reduziert Melatonin-Blockade.

  2. Konsistente Zubettzeit: Das Gebäude liebt Schichtpläne. Unregelmäßigkeit ist wie ständig wechselnde Reinigungsfirmen – Chaos garantiert.

  3. 30 Minuten Tageslicht & Bewegung: Stellt die innere Uhr, erhöht abends die Adenosin-Schläfrigkeit.

  4. Bildschirmfasten: Blaulicht ist wie Baustrahler im Foyer – niemand kann putzen, wenn es blendet.

  5. Schmerzgerechte Positionierung & Wärmetherapie: Wenn weniger Sensoren feuern, kann die Tiefschlafphase beginnen.

  6. Achtsamkeits- oder Atemübungen beim Einschlafen: Aktivieren den Vagus, fahren Sympathikus runter. Das erleichtert den Wechsel in N3.

Schlaf ist kein Luxus, sondern die Wartungsschicht Ihres neurobiologischen Wolkenkratzers. Wird sie gestrichen, stapeln sich Müllsäcke entzündlicher Moleküle, Sicherungen glühen – und der Schmerz nutzt jede Gelegenheit, um lauter Alarm zu schlagen.

Holzen Sie nächtlichen Störungen den Boden weg, und Sie geben Ihrem Nervensystem die Chance, Leitungen zu entwirren, Alarmschwellen zurückzusetzen und das Haus für den nächsten Tag vorzubereiten.

Oder einfacher gesagt: Wer der Putzkolonne Zeit gibt, dem flüstert der Schmerz morgens leiser zu. Gute Nacht – und gute Besserung.

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