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Angst-Vermeidungs-Verhalten: Wenn die Angst den Alltag regiert

Für viele Menschen mit chronischen Schmerzen wird jede Bewegung zu einer potenziellen Quelle der Angst. Die Gedanken kreisen ständig um die Frage: "Wird diese Aktivität meine Schmerzen verschlimmern? Werde ich mir mehr schaden?" Von diesen Ängsten getrieben, beginnen sie, Dinge zu vermeiden - zunächst vielleicht nur das Heben schwerer Gegenstände, aber bald auch einfache Alltagsaktivitäten wie Einkaufen oder Spazierengehen. Ohne es zu merken, haben sie sich in die Falle des Angst-Vermeidungs-Verhaltens begeben.

Angst-Vermeidungs-Verhalten ist ein Teufelskreis, bei dem die Angst vor Schmerzen und Verletzungen dazu führt, dass Aktivitäten vermieden werden, was wiederum zu körperlicher Dekonditionierung, Einschränkungen im Alltag und letztendlich zu einer Verstärkung der Schmerzen führt.

Angst Allegorie

Die Komponenten des Angst-Vermeidungs-Verhaltens

Das Angst-Vermeidungs-Modell der chronischen Schmerzen, entwickelt von Vlaeyen und Linton, beschreibt, wie dieser Zyklus entsteht und sich selbst aufrechterhält. Es besteht aus mehreren Schlüsselkomponenten:

  1. Schmerzerleben: Die tatsächliche sensorische Erfahrung des Schmerzes.

  2. Schmerzkatastrophisierung: Negative Gedanken und Überzeugungen über den Schmerz, die seine Bedeutung und Konsequenzen überbewerten.

  3. Schmerzangst: Die Angst vor Schmerzen und Aktivitäten, von denen man glaubt, dass sie Schmerzen verursachen.

  4. Vermeidungsverhalten: Das Vermeiden von Bewegungen, Aktivitäten und Situationen aufgrund der Schmerzangst.

  5. Dekonditionierung und Behinderung: Die körperlichen und psychologischen Konsequenzen der anhaltenden Vermeidung.

 

Ein Teufelskreis der Vermeidung

Das Tückische am Angst-Vermeidungs-Verhalten ist, dass es sich selbst verstärkt. Je mehr Sie vermeiden, desto mehr verschlechtert sich Ihre körperliche Kondition, was Aktivitäten schwieriger und schmerzhafter macht, was wiederum die Angst und Vermeidung verstärkt. Mit der Zeit kann dieser Kreislauf zu einem stark eingeschränkten Lebensstil, Depressionen und einem Gefühl der Hilflosigkeit führen.

Aus neurobiologischer Sicht kann wiederholte Vermeidung die Schmerzschaltkreise im Gehirn verstärken. Wenn das Gehirn eine bestimmte Bewegung oder Aktivität ständig mit Schmerz und Angst assoziiert, kann es beginnen, diese Reaktion zu antizipieren und auszulösen, selbst wenn keine tatsächliche Bedrohung vorliegt. Dies führt zu einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit und einer verzerrten Wahrnehmung der eigenen körperlichen Fähigkeiten.

Vermeidungs Allegorie

Den Zyklus durchbrechen

Um das Angst-Vermeidungs-Verhalten zu überwinden, ist ein schrittweiser, behutsamer Ansatz erforderlich. Hier sind einige Strategien, die helfen können:

  1. Aufklärung: Verstehen Sie den Kreislauf von Angst, Vermeidung und Dekonditionierung und wie er die Schmerzen aufrechterhalten kann.

  2. Kognitive Umstrukturierung: Hinterfragen Sie negative Gedanken und Überzeugungen über Schmerzen und entwickeln Sie eine realistischere, adaptivere Perspektive.

  3. Graduierte Exposition: Setzen Sie sich schrittweise den gefürchteten Aktivitäten aus, beginnend mit einem Niveau, das nur minimale Angst auslöst.

  4. Aktivitätsplanung: Erstellen Sie einen strukturierten Plan zur allmählichen Steigerung von Aktivitäten und Bewegung, mit spezifischen, erreichbaren Zielen.

  5. Achtsamkeit: Lernen Sie, Schmerzen und Angst zu erleben, ohne darauf zu reagieren oder sie zu vermeiden.

Ausblick

Angst-Vermeidungs-Verhalten ist eine der hartnäckigsten Fallen für Menschen mit chronischen Schmerzen. Durch die Verstärkung von Schmerzschaltkreisen und die Förderung von Dekonditionierung kann es den Kreislauf von Schmerz, Angst und Behinderung aufrechterhalten.

Aber mit dem richtigen Verständnis und den richtigen Werkzeugen können wir beginnen, uns aus diesem Kreislauf zu befreien. Durch kognitive Umstrukturierung, graduierte Exposition und Achtsamkeit können wir unsere Reaktion auf Schmerzen neu kalibrieren und Vertrauen in unsere Fähigkeit wiedergewinnen, uns zu bewegen und zu funktionieren.

Im nächsten Kapitel werden wir uns mit der Rolle von psychischem Stress bei chronischen Schmerzen befassen. Wir werden untersuchen, wie Stress die Schmerzverarbeitung beeinflusst und praktische Strategien zur Stressbewältigung entwickeln.

Denken Sie daran: Schmerz ist komplex und multidimensional - er hat biologische, psychologische und soziale Komponenten. Um ihn wirksam zu bewältigen, müssen wir uns mit all diesen Dimensionen befassen. Und einer der mächtigsten Hebel, die wir haben, ist unser eigener Geist.

Also, wenn Sie sich das nächste Mal dabei ertappen, wie Sie eine Aktivität aus Angst vor Schmerzen vermeiden, halten Sie inne. Fragen Sie sich: "Ist diese Angst wirklich gerechtfertigt? Könnte ich einen kleinen Schritt in Richtung Konfrontation machen?" Denken Sie daran, dass jeder Schritt, egal wie klein, ein Schritt in Richtung Erholung und Ermächtigung ist.

Die Reise ist nicht einfach - sie erfordert Mut, Geduld und Selbstmitgefühl. Aber es ist eine Reise, die sich lohnt. Denn am Ende liegt nicht nur ein Leben mit weniger Schmerzen, sondern ein Leben mit mehr Freude, Verbundenheit und Erfüllung. Und das ist ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt.

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