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Zentrale Sensibilisierung

Stellen Sie sich vor, Ihr Rücken macht Ihnen das Leben schwer.
(Es könnte aber genauso gut der Nacken, die Schulter oder das Knie sein.)
Er tut weh. Ziemlich weh.

Also gehen Sie zum Arzt. Erst gibt es Schmerzmittel. Beim nächsten Termin eine gründlichere Untersuchung. Irgendwann ein MRT.
Und da ist er: ein Bandscheibevorfall.

Endlich — das Problem gefunden, die Diagnose gestellt.
Jetzt kann die richtige Behandlung beginnen: stärkere Schmerzmittel, gute Physiotherapie, vielleicht sogar eine Operation.

Und zum Glück läuft diese Geschichte für die meisten Menschen genau so — in etwa 9 von 10 Fällen.

Aber was ist mit dem einen von zehn?

Wenn wir gemeinsam zu dem Punkt gekommen sind, gehören Sie vielleicht zu dieser Gruppe.
Und Sie sind damit keineswegs allein. Statistisch sind zwei oder drei Menschen aus Ihrer alten Schulklasse in derselben Situation.

Vielleicht zeigte Ihr MRT einen Vorfall, aber die Schmerzen gingen nach der Behandlung nicht weg — sie wurden sogar stärker.
Vielleicht wurden Sie sogar operiert, und trotzdem wurden die Schmerzen schlimmer.
Oder Ihr MRT war völlig unauffällig. Keine Bandscheibe, keine Arthrose, keine Entzündung. Nichts, was den Schmerz „erklärt“.
Und doch ist der Schmerz da. Manchmal kaum auszuhalten. Und zunehmend.

Was passiert hier?
Und vor allem: Kann man Ihnen helfen?

Um das zu beantworten, müssen wir einen Schritt zurücktreten und anschauen, wie Schmerz eigentlich funktioniert.

Smudging behandel Allegorie

Der Nachrichtendienst, die Auswerter und der Mann mit dem roten Knopf

Ihr Körper funktioniert ein bisschen wie ein Land mit einem ausgeklügelten Verteidigungssystem.
Und Schmerz ist im Kern ein Schutzsignal.

Am Anfang stehen die Sensoren im Feld: die Nozizeptoren.
Millionen davon liegen in Haut, Muskeln, Gelenken und Organen.
Sie sind wie Bewegungssensoren, Wärmebildkameras und chemische Spürhunde — ständig auf der Suche nach möglichen Gefahren.
Sie senden Daten — Rohinformationen — weiter zur nächsten Station.
Mehr nicht. Sie „fühlen“ keinen Schmerz und treffen keine Entscheidungen. Sie melden nur.

Die ersten Filterstationen sitzen im Rückenmark — gewissermaßen die lokalen Nachrichtendienste. Dort wird vorsortiert, priorisiert, manchmal gedämpft oder verstärkt, bevor die Meldungen an die Zentrale gehen.

Dann erreichen die Berichte die Hauptstadt — Ihr Gehirn.
Hier arbeitet ein Netzwerk spezialisierter „Behörden“: Wahrnehmung, Gefühle, Gedächtnis, Bewertung und Vorhersage.
Gemeinsam stellen sie sich Fragen wie:

  • Was passiert gerade?

  • Woran erinnert uns das?

  • Was bedeuteten ähnliche Signale früher?

  • Wie gefährlich könnte das sein?

Am Ende sitzt am Kopf des Tisches der „Mann mit dem roten Knopf“.
Er sieht die Rohdaten nicht — er bekommt die Zusammenfassung.
Und auf Basis dieses Berichts entscheidet er, ob er den Knopf mit der Aufschrift SCHMERZ drückt.

Erst dann fühlen Sie Schmerz — die bewusste Warnung, dass etwas nicht stimmt oder geschützt werden muss.

Wenn der Alarm nicht mehr ausgeht

Normalerweise beruhigt sich das System, sobald die Gefahr vorbei ist:
Die Wunde heilt, die Entzündung klingt ab, das Gewebe erholt sich — und die Sensoren werden wieder leiser.
Der Schmerz hat seinen Zweck erfüllt.

Manchmal stellt sich das System jedoch nicht mehr richtig zurück.
Die Sensoren werden überempfindlich, die Auswerter übervorsichtig, und der Mann mit dem roten Knopf wird „nervös“.

Vielleicht stand das System lange unter Dauerstress — zu wenig Schlaf, anhaltende Sorgen, Krankheit, wiederholte Verletzungen.
Vielleicht war es einfach zu lange überlastet.
Dann werden harmlose Signale — normale Bewegung, sanfter Druck, etwas Dehnung — leicht als Bedrohung missverstanden.
Der Alarm geht los, nicht weil etwas kaputt ist, sondern weil das System gelernt hat, Gefahr zu erwarten.

Das nennen wir zentrale Sensibilisierung — vereinfacht: ein überempfindliches Alarmsystem.

Das ist nicht „nur im Kopf“. Es ist in Ihrem Nervensystem.
Die gleichen Schaltkreise, die Sie schützen sollten, sind überschützend geworden.

Warum der Schmerz real ist — auch ohne sichtbaren Befund

Ein MRT zeigt Strukturen — Knochen, Bandscheiben, Bänder.
Es zeigt nicht, wie empfindlich Ihr Alarmsystem ist.
Es zeigt auch nicht, wie hoch Ihr Gehirn die Gefahr einschätzt.

Darum können zwei Menschen mit identischem MRT völlig verschieden fühlen:
Die eine Person hat keine Schmerzen, die andere kann sich kaum bewegen.

Bei chronischen Schmerzen suchen wir daher nicht nur nach einem „defekten Teil“, das man reparieren kann.
Wir helfen einem wachsamen System, Sicherheit neu zu erlernen.
Das bedeutet: Sensoren beruhigen, Auswertung umlernen, Bewegung wieder als sicher erfahren, Vertrauen in den eigenen Körper aufbauen und die Gesamtbalance des Netzwerks wiederherstellen.

Denn Schmerz ist kein Zeichen von Schwäche oder zwangsläufiger Gewebeschädigung —
Schmerz ist Schutz.
Und selbst ein überschützendes System kann wieder vertrauen lernen.

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