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AutorenbildOA Dr. Miroslav Chabica, EDAIC

Wenn Schutz zu Überprotektion wird



Im letzten Beitrag haben wir untersucht, wie das Gehirn als schnelles Reaktionssystem fungiert und in Sekundenbruchteilen Entscheidungen über potenzielle Bedrohungen für den Körper trifft. Es gibt jedoch eine Schattenseite dieses Schutzmechanismus: die Möglichkeit, überprotektiv zu werden. Diese übermäßige Abwehr kann sich zu einem Zyklus entwickeln, in dem das Gehirn geschickt darin wird, Schmerz 'zu erlernen', selbst wenn die ursprüngliche Verletzungsquelle verheilt ist. Das Verständnis dieses Mechanismus bietet sowohl Einblicke als auch Hoffnung für Menschen, die mit chronischen Schmerzen zu kämpfen haben.


Die Gefahren der Hyper-Vigilanz


Um eine Analogie aus der Welt der Strafverfolgung zu ziehen: Große Vorfälle wie Terroranschläge machen Polizeikräfte oft hyperwachsam. Während erhöhte Wachsamkeit gut gemeint sein mag, führt sie manchmal zu falscher Profilbildung, ungerechtfertigten Festnahmen und der Viktimisierung unschuldiger Personen. Ebenso kann das "Verteidigungsministerium" unseres Gehirns so auf mögliche Bedrohungen abgestimmt werden, dass sogar gutartige Reize wie normale Muskelbewegungen als gefährlich interpretiert werden.


Die Lernkurve des Schmerzes


Die Plastizität des Gehirns, seine Fähigkeit, sich anzupassen und zu lernen, ist ein zweischneidiges Schwert. Während sie uns befähigt, Fähigkeiten zu meistern und uns an wechselnde Umgebungen anzupassen, kann sie uns auch in schädlichen Zyklen gefangen nehmen. Im Kontext von Schmerzen bedeutet diese Plastizität, dass das Gehirn umso besser darin wird, Schmerzen 'zu erlernen', je mehr es sich an überprotektivem Verhalten beteiligt. Die neuronalen Bahnen, die für die Gefahrenerkennung zuständig sind, werden effizienter, und dadurch werden Schmerzsignale leichter ausgelöst.


Wenn Schmerz zur Krankheit wird


In vielen Fällen chronischer Schmerzen wird das Symptom selbst zur Krankheit. Selbst nachdem die Gewebe verheilt sind und keine physische Schädigung mehr vorliegt, setzt das sensibilisierte Gehirn fort, die Gefahr einer Beschädigung wahrzunehmen und den Schmerzzyklus aufrechtzuerhalten. Es ist wichtig zu verstehen, dass dies die Schmerzerfahrung nicht weniger qualvoll und nicht weniger real macht.


Der Silberstreif am Horizont: Wissen als Macht


Das Bewusstsein für diesen Mechanismus ist der erste Schritt zur Durchbrechung des Zyklus. Genau wie ein hypervigilantes Strafverfolgungssystem eine Umschulung durchlaufen kann, um ungerechtfertigten Schaden zu verhindern, kann auch unser Schmerzmanagement-System des Gehirns durch verschiedene therapeutische Ansätze 'umgeschult' werden. Von der kognitiven Verhaltenstherapie bis zur Schmerzneurowissenschaftlichen Aufklärung eröffnet das Verständnis der Rolle des Gehirns bei Schmerzen neue Wege für die Behandlung, voller Versprechen für Linderung und Erholung.


Schlussfolgerung


Während das schnelle Reaktionssystem unseres Gehirns eine wesentliche Schutzfunktion erfüllt, stellt seine Tendenz, überprotektiv zu werden, Herausforderungen dar, insbesondere im Bereich chronischer Schmerzen. Die Fähigkeit des Gehirns, Schmerz 'zu erlernen', kann ein Symptom in eine schwächende Krankheit verwandeln und Menschen in einem schmerzhaften Zyklus gefangen nehmen. Dennoch bietet das Wissen um diesen Mechanismus einen Hoffnungsschimmer und einen Weg zu effektiveren und mitfühlenderen Behandlungsmöglichkeiten.



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